Die Philosophie des Seins

Gehen wir von einem ganz besonderen, aber geschichtlich nicht korrekten, dafür umso aufregenderen Szenario aus. Sechs Männer unterhalten sich leidenschaftlich an einem Tisch, ihre Blicke sind neugierig, sie sind ganz in ihre Unterhaltung vertieft, nippen regelmäßig an ihren Cognacgläsern, ziehen an ihren Zigarren und entspannen sich in den gemütlichen Ohrensesseln.

Das Restaurant ist ganz im Stil der Avantgarde eingerichtet: Die großen Kristallleuchten tauchen den Raum in angenehmes Licht, erhellen die umherziehenden Rauchschwaden und die Gemälde an der Wand lassen keinen Zweifel an der Schönheit des Impressionismus. Die Herrenrunde, bestehend aus Jean-Paul Sartre, Erich Fromm, C.G. Jung, Viktor Frankl, Karl Popper und Arno Grün genießt ihr Beisammensein.

 

Ist der Mensch nackt in die Welt geworfen, ohne vorerst ersichtlichem höheren Streben oder Aufgabe, die er erst durch seinen Willen in Kombination mit der psychosozialen Entwicklung, Bildung, Genetik und des Umfelds erwirbt? Oder liegt Jean Paul Sartre diesbezüglich falsch und der Mensch existiert, ganz nach Fromm,  um zu Schaffen. Tut er das von Beginn an? Die aktuellen Krisen zeigen, es braucht erneut die großen Denker des 20 Jahrhunderts.

 

Fragen zu stellen, scheint wieder an Bedeutung zu gewinnen. Ich wage nur zögernd mit Hilfe der an dem Tisch sitzenden Gruppe von Philosophen,  die Antworten auf manches zu geben, ohne dem Versuch, die Wahrheit für mich pachten zu wollen. Ist es so, dass unser (Da-)sein womöglich einem bestimmten Schicksal oder doch Synchroniziäten, die ein wenig mit der Relativitätstheorie einhergehen, unterworfen ist? Die Synchronizität besagt, dass es manchmal keine Zufälle gibt, sondern exakte, aufeinanderfolgende Erlebnisse, ohne direkt ersichtlichen Kausalzusammenhang, die uns etwas deuten und uns zu etwas führen möchten. Überlegungen, die C.G. Jung sehr am Herzen lagen.

Die Freiheit des Daseins

Wie verhält es sich in unserer Gesellschaft mit unserem Dasein? Sind wir nur mehr körperlich anwesend, hinsichtlich der Machtlosigkeit, die uns angesichts der aktuellen Ereignisse überfällt?

Sartre sagt, wir hätten immer die Möglichkeit frei zu entscheiden. Und diese Freiheit der unendlich vielen Entscheidungen ist es, die uns ängstigt. Ähnlich wie Viktor Frankl dies auch selbst erlebte: Er entschied sich für das Leben, mitten in all den Gefahren eines Konzentrationslagers, inmitten der Brutalität und im Angesicht des Todes. Das hieße wir haben  wir auch knapp vor dem metaphorisch gesprochenen Abgrund die Freiheit zu entscheiden: Greife ich nach dem Grashalm, der meine Rettung sein könnte? Verzichte ich darauf, falle in das Nichts und beende das für mich so gewohnte Leben? Das Nichts entspricht in diesem Fall nicht der Spekulation von einem Leben nach dem Tod, sondern ist als Allegorie der Ungewissheit zu verstehen. Man kann dieses Szenario aus gegenwärtigem Anlass politisch auslegen. Habe ich den Mut mich zu wehren, Neues zu erschaffen? Möchte ich mich verändern? Und gelingt mir diese Veränderung in Form eines Utilitarismus? Das heißt für den positiven Nutzen der Gesellschaft? Das Wohl des Ganzen steht im Mittelpunkt.

Doch der Disput liegt manchmal in der Unvereinbarkeit zum Wohle der Allgemeinheit und des eigenen Selbst. Tue ich etwas, das der Gesellschaft dienlich ist, aber mir schadet, kann das nicht vorteilhaft sein. Denn so wäre ich nicht mehr Teil des Ganzen und der Grundgedanke des Utilitarismus verlöre seinen Zweck.

Mutig und furchtlos denkt hier meine Mutter. Ihr politisches Engagement ist bewundernswert. Sie ängstigt sich nicht vor der Entscheidung oder gar der Qual der Wahl sondern vor dem Stillstand und soziale Ungerechtigkeit.

 

Haben oder sind wir?

Es gab eine Zeit in der wir uns eindeutig in der „haben Gesellschaft“ befanden. „Ich habe, wenn auch wenig, aber das ist ganz mein Besitz.“ Sprachtechnisch sind wir noch immer in einer vom „haben“ besessenen Phase: Ich habe einen Freund, Mann, ein Kind oder ich habe keine Zeit.

Haben sagt allerdings nichts über unser sein: Ich bin verliebt, ich bin die Frau von, ich bin Mutter, ich bin verhindert...

Wir haben im Übrigen keinen Menschen als unseren Besitz zu definieren, sondern es handelt sich um die wundervolle Freiheit zu entscheiden mit wem wir gerne unsere Zeit verbringen.

Haben wir uns so weit von unseren Gefühlen entfernt, dass wir uns durch ein Wort des Besitzes distanzieren müssen und verhindern womöglich unser (Da-)sein? Unsere Sprache birgt aber noch ein anderes Problem: Das Wort lieben. Wir lieben unsere Kinder, Männer, Frauen, Essen, Filme und Freunde. Es fehlt eindeutig an Differenzierung. Wie will mein Gegenüber bloß die feinen Nuancen meines Gefühls „Liebe“ differenzieren?

Müssen wir den Begriff großer Zuneigung neu definieren oder handelt es sich hierbei um Qualia, eine Wahrnehmung, deren Empfindung subjektiv zu sein scheint.

 

Doch gegenwärtig haben wir uns von dieser Zeit entfernt. Stattdessen können wir uns als Marketing Gesellschaft begreifen. So wie Fromm sagte, nicht nur der Besitz sei von Bedeutung, sondern auch der Wunsch unendlich viel Neues anzusammeln. Dafür tauschen wir auch manchmal uns selbst ein, in der Hoffnung andere davon begeistern zu können und Profit daraus zu schlagen. Wir verkaufen unsere Persönlichkeit.