Philosophie des Seins 2

Die Normalität ist Wahnsinn

Die Frage ist auch, ob wir durch das Tauschgeschäft ein beängstigendes fast kontinuierlich anhaltendes Gefühl des Alleinseins entwickelt haben. Es scheint, als ob wir so irrational wären, dass die Angst nicht zu genügen, nicht gebraucht zu werden, das uns immer mehr fehlende Urvertrauen und die fehlende Differenzierungsfähigkeit dazu treibt, diesen Disputen mit emotionaler Verschmelzung gleich zu kommen und förmlich aufzuheben. Ein illusionäres Bild von trügerischer Vertrautheit, Harmonie und Ganzheit.

 

Denn letztendlich sind wir oft begierig darauf, dass wir die positiven Eigenschaften, die man selbst nicht besitzt, im anderen zerstören möchten. Es ist bekannt, dass wir z.B. auch Persönlichkeitseigenschaften, die wir nicht anerkennen, sogenannte Schattenseiten nach C.G. Jung, in unserem Gegenüber verabscheuen oder eben positive Fähigkeiten die uns vor Neid erblassen lassen, mit verbaler Brutalität im Wesen des anderen vernichten.

 

Den Menschen begreifen

Mir scheint als müssten wir „Mensch sein“ auch neu definieren: Unsere Sexualität, wie intra-, bi-, hetero-, homo- oder transsexuell, die Begrifflichkeit von Mann und Frau und die damit verbundene gesellschaftliche Wertschätzung. Wir können unseren Körper und unsere Meinung ändern, Schönheitsmerkmale anpassen und jede nur erdenkliche Ausbildung absolvieren, doch scheinen wir uns mit diesen Mitteln von uns selbst zu entfernen. Bei all den Freiheiten ist es schwierig, sich selbst zu finden und zu erkennen. Dabei ist es fast unmöglich einer Sache treu zu bleiben. Vielleicht ist es auch ein zeitgenössischer Wunsch eine Definition für alles und jeden schaffen zu wollen. Um dieser Vielfältigkeit noch gewachsen zu sein, fabrizieren wir gedankliche Schubladen, um zu kategorisieren und unser Leben hilfreicher zu gestalten. Bräuchte aber durch diese Freiheit nicht bald jeder seine eigene Lade, in der er Platz findet? Ist es nicht ein Paradoxon, dass wir auf der einen Seite alles dafür tun individuell herauszustechen und auf der anderen Seite der Gesellschaft erlauben, über unsere Verschiedenheit zu bestimmen bzw. abzulehnen, was ihr nicht konform erscheint?  Auf Grund einer anderen Meinung kann eine Person schnell zum Außenseiter innerhalb des Meso-, Makro- und Mikrosystems werden. Diese Angst, von der Sartre spricht, kann die eigene Psyche in eine innere Unruhe und Anspannung treiben. Doch ohne innerer Balance ist es schwer, reflektiert zu denken und man sucht weiter wahnhaft nach Individualität, Konformität und Perfektion. Um dann womöglich auch einem Plätzchen zugehörig zu sein,  an dem jeder ganz er selbst ist und trotzdem in der Gesellschaft Anerkennung findet. Verbindet uns bei all dem Individualismus noch mehr als das „Mensch sein“ im Sinne von körperlicher Funktion und Grundbedürfnissen? Doch selbst die Bedürfnispsyramide nach Maslow ist in unserer Welt in einem Ungleichgewicht. Menschen und Kulturen befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstufen. 

 

 

Da stellt sich natürlich die Frage bei all der Qual der Wahl: Macht zu viel Individualismus und dahingehend auch der Anspruch die Wahrheit und den richtigen Weg für sich gepachtet zu haben, einsam? Vielleicht fand Karl Popper den richtigen Ansatz, nämlich, die Sichtweise des Kritischen Rationalismus: Seine Lebensphilosophie, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“. 

Kultur und Religion

Unterschiedlichste Kulturen und Religionen vermengen sich in Zeiten der Globalisierung. Wie findet man nun die perfekte Balance zwischen Ursprünglichkeit eines jeden Landes und positiver Verschmelzung? Sartre würde uns empfehlen, die Freiheit der Entscheidung zu nutzen, welche Elemente wir vereinen möchten und welche ihre Ursprünglichkeit und damit die Chance voneinander durch Beobachtung zu lernen, behalten sollten.

Fromm, der einer emotionalen Entfremdung der Menschheit negativ gegenüberstand und der Psychoanalyse tief verbunden war, konnte in dem Glauben der Menschen etwas Befriedigendes und Sinnstiftendes entdecken. Die Religion, die sowohl für ihn, der immer wieder Spiritualität mit seinen Theorien interagieren ließ, als auch für C.G. Jung von großer Bedeutung war, scheint uns nicht mehr zu einen. Sind die jetzt wirklich „begreifbaren“ Mauern die wir setzen, nicht nur ein wahrnehmbarer Ausdruck der innerlich gesetzten Grenzen? Haben wir diese nicht alle, weltweit, schon längst überschritten, sodass uns kein anderer Weg mehr bleibt, als uns mit Hilfe von Beton zu distanzieren? Womöglich ist die fehlgeschlagene Grenzenlosigkeit, die Überforderung durch Vielfalt, das Machtstreben, der Kapitalismus sowie das Ausbeuten unterschiedlichster Kulturen der Ursprung dieses Mauerwahns.

 

 

Bleibt nun noch zu hoffen, dass der Antiintellektualismus nicht weiter Vormarsch hält, sondern die großen Denker dieser Zeit philosophisch etwas bewirken können.