Walter Robinson - The Americans - Vito Schnabel Galerie, St. Moritz

Die Gemälde von Walter Robinson, aktuell zu sehen in der Vito Schnabel Galerie in St. Moritz, faszinieren. Zum einen malt er Acrylfarbe auf Bettlaken, eine eher unkonventionelle Idee, zum anderen überraschen seine Motive, die Groschenromanen entspringen.

Wieso fiel die Wahl auf Leintücher, etwas derart Alltägliches? Robinson: “Bettlaken dienen als fast universales Accessoire zur elementaren Manifestation von Leidenschaften.“ Darin verbirgt sich ein interessanter Vergleich: Die Natur ist horizontal, die Kultur vertikal zu betrachten. Ein Bettlaken ist nachts horizontal ausgebreitet, untertags aber, während des Auslüftens, vertikal über die Wäscheleine gefaltet. Die zum Teil gemusterten Tücher bringen das „skurrile Geschnörkel der sozialen Fantasie“ auf eine horizontale, biologische Ebene“.  (vgl.: Robinson 2017, The Americans, Vito Schnabel Galerie)

 

Er beschreibt diese Laken auch „als Metapher für das kontinuierliche Feld des Bewusstseins.“ Etwas Alltägliches  wie ein Bettlaken als Leinwand für ein Gemälde zu nutzen, lässt das wahre Leben mit der Kunst verschmelzen, holt die Energie der primären, manchmal auch sekundären Emotionen der Menschen direkt in das Motiv und lässt es dadurch gedanklich nicht mehr als starres Kunstobjekt wirken, sondern als etwas mit unserem Sein verwobenes.

 

Seine Motive sind den eben erwähnten Groschenromanen entnommen, die für die Bourgeoisie, in Zeiten eines sehr rigid eingegrenzten Bildungskanons, als primitive Lektüre galt.  Doch vermitteln diese auch das Gefühl „echt sein zu wollen“ und manchmal vor Impulsivität als auch Temperament nur so zu sprühen. Authentizität mit Gefühl, für viele Menschen die wichtigste Form unseres Daseins.  Denn wer wünscht sich nicht, besonders im Hinblick romantischer Beziehungen, so angenommen zu werden wie er ist? Selbst wenn unsere Gefühle manchmal den Verstand durchkreuzen, wir uns in ihnen verlieren, oder durch Eifersucht, Begierde, dem Wunsch nach Macht oder Gier, in unserem rationalen Handeln blockiert sehen, zeigen uns diese auch den Facettenreichtum unserer Persönlichkeit. Denn die intrapersonelle Verschmelzung dieser Emotionen, ihr Erscheinen und wieder Verblassen, gestalten sich für jedes Individuum einzigartig. Psychologisch schenken sie uns die Menschlichkeit, mitunter auch den Wunsch etwas zu schaffen (Fromm), manchmal die Gabe zur Reflexion,  auf jeden Fall die Kraft für persönliche Weiterentwicklung.  Dabei spielen Bedürfnisse, Wünsche und Motive eine tragende Rolle. Rasende Eifersucht, Zorn, Traurigkeit und Angst zwingen uns, den Blick nach innen zu richten und unser Verhalten zu hinterfragen.

Wir haben immer die Freiheit zu entscheiden (Sartre) - für oder gegen etwas: Altruismus versus Hedonismus, Geben und Nehmen, impulsives oder überlegtes  Handeln.

Diese Freiheit ist ausgesprochen relevant für unsere Existenz. Sie kann eine, durch unsere Triebe zu verkümmern drohende Seele mit überlegten Handlungen, mentale Stabilität schenken.

 

Walter Robinson zeigt in seinen Abbildungen Verführung und Hingabe, Sex, Begierde, Macht, die Affinität für Alkohol oder Junkfood. Alle Gemälde sind von einer Besonderheit.

Eines möchte ich jedoch im Hinblick meiner Arbeit hervorheben: Money Man (2017).

 

Dem Betrachter scheint es fast unmöglich, sich dem erotischen Charme der Frau, die im Vordergrund des Gemäldes platziert ist, zu entziehen. Ihre Haut scheint makellos ebenmäßig und gleicht einem Porzellanteint. Ihre Mimik, ihre leicht geöffneten vollmundigen, roten Lippen vermitteln den Ausdruck eines sinnlichen Raunens. Für den Betrachter ist es nur schwer ersichtlich, ob sie ihre Lider senkt, um den Geliebten nur der Sicherheit wegen, in ihrem Blickfeld behalten zu können oder sie voller Hingabe mit geschlossenen Augen die Umarmung genießt. Die Farbe Rot, ihre gelockten, aber ein wenig zerzausten Haare, symbolisieren das - innerhalb der Beziehung - gelebte Feuer.

 

Seine Umrisse bleiben hingegen mit Ausnahme des Gesichts, dem durch die unterschiedlichen Braun- und Rottöne Ecken und Kanten verliehen werden, frei von Farbe, nur die Konturen sind deutlich erkennbar.

 

Sein Gesicht gleicht nicht der perfekten Ebenmäßigkeit seiner Partnerin: Die Physiognomie eines harten, toughen Mannes, der sich womöglich,  so wie die vor ihm stehende, von purer Weiblichkeit und Sexualität erfüllte Geliebte, den Geschlechterrollen fügt.

 

Es ist unmöglich seinen um sie gelegten Arm, lediglich als liebevolle Geste seiner Zuneigung zu interpretieren. Vielmehr scheint seine Liebkosung auch der Versuch zu sein, sie festzuhalten, mit seiner Männlichkeit zu durchdingen und sie zu dominieren. Der ihm von ihr zugewandte Rücken ist ein Zeichen von Vertrautheit, dem Wunsch, aller Bedenken zum Trotz, sich fallen zu lassen, mit ihm zu verschmelzen. 

„Komm her, geh weg!“

Eine Darstellung enormer Leidenschaft mit Tendenzen einer sexualisierten Aggression.

 

Verena Kast beschreibt in ihren Büchern Beziehungsfantasien, u.a. Shiva und Shakti - aus der indischen Mythologie entnommen - oder Merlin und Viviane, denen sich jedes Paar gegenüber wähnt.

Beide Fantasien sind passende Erklärungsversuche für die Interpretation des Gemäldes. Ist es dem gezeigten Paar aktuell nicht möglich, sich zu trennen, eine Individuationsphase zu beginnen, um sich als eigenständige Personen wahrzunehmen?

Verschmelzen die beiden zu einer Person, zu einem „Wir“ ohne stabilisierende Grenzen zu Gunsten des eigenen „Ichs“?

Dient die Umklammerung einem letzten Versuch die Realität, die Außenwelt rigide abzugrenzen, um der diffusen Beziehungsdynamik im Inneren eine vermeintliche Chance zu gewähren?

Wenn keine außenstehende Person auf das Paar einwirkte, bliebe die Hoffnung, sich nicht der Gefahr auszusetzen, der Wahrheit über die diffuse Leidenschaft ins Auge zu blicken, sie anzunehmen, um womöglich eine konstruktive partnerschaftliche Ebene zu erreichen. Das klingt natürlich bei weitem erstrebenswerter, wäre aber für die Beziehung der beiden eine ernstzunehmende Bedrohung bezüglich ihrer Innigkeit, ihrer Sexualität – die Angst, sich im Alltag zu verlieren, scheint zu groß.

 

Ebenso für Erklärungsversuche dienlich und anwendbar scheint die Fantasie „Merlin und Viviane“

Er, sie fest umklammernd, durch die Unebenheiten des Gesichts älter wirkend, ein wenig vom Leben gezeichnet, hat ihr die Weisheiten des Lebens offenbart, sie womöglich gelehrt, rauer, härter und weniger sensibel zu sein, zu versuchen, das Leben so anzunehmen, wie es ist.

Sie hingegen verliert sich manchmal in der von ihr gelebten Naivität, schenkt ihrem Partner aber wiederum Lebensfreude, Leichtig- und Jugendlichkeit. Sinkt direkt in seine Arme, trotz der Furcht erdrückt zu werden. Sie spürt die Aggression und Dominanz in seiner Umarmung, genießt aber gleichzeitig seine Begierde und Lust, die nur sie in ihm zu wecken scheint.

 

Die beiden Interpretationen schließen einander nicht aus: Die Verschmelzung und der Versuch des Mannes, die junge Frau zu belehren.  

Nun bleibt noch der gewählte Titel zu betrachten: Money Man.

Das lässt verständlicherweise gedanklichen Spielraum im Hinblick auf Geld und Sex sowie Geld und Macht. Dient sein Reichtum der Beziehung? Ist er so wohlhabend, wie es für sie den Anschein hat oder handelt es sich um eine von ihm gezeigte Illusion?

Stünde ihm seine Geliebte auch in Armut nahe? Ist die Umklammerung ein Zeichen von Dominanz oder verbirgt sich darin bereits entstandener Schmerz, wohlwissend, seine Geliebte nicht immer sein Eigen nennen zu können.

 

Bei einem Aufenthalt in der wundervollen Stadt St. Moritz, sollten Sie unbedingt die Galerie von Vito Schnabel besuchen, der mit seiner Auswahl origineller Werke die Besucher fasziniert.