Symbolismus & die Göttin der Unterwelt

Der Symbolismus, der seine Hochphase zwischen 1880 und 1910 erreichte, war in sexuellen und mystischen Belangen eine besonders sinnliche, wenn auch zur Provokation neigende Epoche. Der Darwinismus und die damit einhergehende neu entdeckte Evolutionstheorie hinterließen ein klaffendes Loch, aus dem dualistische Perspektiven wuchsen. Ein verzweifelter Versuch sich der Religion zu besinnen, verwirrt, dass der Mensch nicht von Gott geschaffen wurde, provozierend, um alte Dogmen in Frage zu stellen und dabei manchmal in Kitsch und Dekadenz ausufernd.

Der Mensch war nun doch ein zufälliges Produkt der Geschichte, die Erde drehte sich, seit Kopernikus schon lange nicht mehr im Mittelpunkt des Universums und die Psychologie konstatierte, dass niemand, Herr über sein eigenes Ich zu sein scheint. 

 

Am 10. April 1886 verkündete die Zeitung Le Décadent, den voranschreitenden Zusammenbruch von Religion, Moral und Gerechtigkeit. Stattdessen traten Luxussucht, Hypersensibilität des gehoben Geschmacks, „Schopenhauertum“ und ein unstillbares Verlangen nach Vergnügen in den Vordergrund.

Intellektuelle und Ästheten nutzten den Symbolismus als Religionsersatz und als mystisch glorifizierten Schönheitskult. Die Maler verlangten dem Publikum für die Interpretation der Gemälde viel ab: Schon lange stand nicht mehr das rein intellektuelle Verstehen im Fokus; viel mehr eine empathische Betrachtungsweise - schenkte der Symbolismus, durch die Vermengung unterschiedlichster Stile, die Entdeckung der "Femme fatale" und durch das Aufgreifen antiker Sagen, Raum für subjektive, individuelle Spekulationen.

 

Die Aussage von Caspar David Friedrich, einem der Romantik zugehörigen Künstler: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“ – könnte das Motto des Symbolismus nicht besser formulieren.

 

Das Werk von Dante Gabriel Rossetti „Proserpina“, zeigt die Mystik, die künstlerische Interpretation von antiken Sagen, harmonisch kombiniert mit dem subjektiven Erleben des Künstlers. Erneut bleibt viel Spielraum für die Auslegungen des Betrachters.

 

Proserpina war eine römische Gottheit, Tochter des Jupiter und der Ceres. Später Gemahlin von Pluto, der sie an den Hängen des Ätna entführte und sie in die Unterwelt brachte.

In der griechischen Mythologie handelt es sich um Persephone, die niemals einer Heirat mit Hades zugestimmt hätte. Auch hier musste der Gott der Unterwelt, die schöne Frau entführen. Durch eine Einigung zwischen ihrem Vater Zeus und Hades, verbrachte sie statt eines ganzen nur die hälfte des Jahres in der Unterwelt. Theseus und Peirithoos scheiterten bei dem Versuch, Persephone zur Gänze zu befreien.

 

Dante Gabriel Rossetti fertigte insgesamt acht Versionen dieser bekannten Thematik. Diese Fassung befindet sich aktuell in London und zeigt eine schöne und sinnliche Frau. Ihre Gesichtsform entspricht den Vorstellungen der Präraffaeliten. Die wohlgeformten Lippen sind als Metapher für Sexualität und Erotik zu verstehen. Die langen Haare Gewalt, das Antlitz trotz einfallendem Licht, gut im Hintergrund sichtbar, wird nicht erhellt. Ihr Gewand weist einige Schattierungen in blauer Farbe auf, von helleren Nuancen, die vom Licht umspielt werden, in düstere Töne sanft übergehend, Richtung Saum mit Grau vermischt. Ein Zeichen für Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Der schimmernde aus teurem Stoff genähte Mantel und dessen Raffungen, die Ornamenten gleichen, zeigt den Wert und die Kostbarkeit dieser Frau, für den Betrachter nun auch materialistisch sichtbar. Ihr Blick ist starr zur Seite gerichtet und die Mundwinkel ein wenig nach unten gezogen. Mimisch bringt sie ihre Traurigkeit klar zum Ausdruck.

Hinter der Göttin ragt eine Ranke Efeu der Hausmauer entlang: Dieser symbolisiert die Treue und in konkretem Beispiel auch das schier nicht enden wollende, sie ständig bedrängende Gedankenkarussell über die ungerechte sowie demütigende Situation.

Vor ihr befindet sich eine Schale Weihrauch, die sie an ihre göttliche Kraft erinnern soll. Proserpina hält einen Granatapfel fest umklammert, ein Sinnbild für Jugendlichkeit, Sexualität und Vergnügen. Der Sage nach, blieb der jungen Göttin die Freiheit verwehrt, da sie dieser Frucht nicht widerstehen konnte und ein Stück verzehrte. Ihr unstillbares Verlangen stürzte sie ins Unglück.

Interessanterweise versucht sie sich selbst mit ihrer rechten Hand zurückzuhalten und dem Genuss zu entsagen.  

Rossetti sah in diesem Thema, sein eigenes Leben gespiegelt. Jane Burden, in die er unsterblich verliebt war, stand ihm für dieses Gemälde Modell. Seine Angebetete war aber bereits verheiratet und den beiden Liebenden somit eindeutig klar, dass sie ihrem Verlangen keinesfalls nachgeben durften. Seine Liebe brachte der Künstler auch mit einem Sonett zum Ausdruck, das er in der rechten Ecke des Bildes anbrachte.

 

Die Szene erinnert auch ein wenig an Adam und Eva. Je nach Überlieferung biss sie in eine Feige oder einen Apfel - beides sind Metaphern für das weibliche Geschlechtsorgan.

 

„Als Erinnerung daran, dass der Apfel die Vulva symbolisiert, erkennen Adam und Eva zwar noch, dass sie Geschlechtsteile haben, doch werden die orgiastischen, rauschhaften Gelage, die mit dem Genuss des Liebesapfels verbunden sind, nun dem Bereich des Bösen zugeordnet....“ (Sanyal. M., Vulva, S. 42)

 

Der Verzehr Apfels oder Evas „Vergnügen“, brachten kein Glück. Für Rossetti bedeutete dies ein Abwegen der Konsequenzen: Die Liebe zu Jane barg zu viele Risiken, kam eine Scheidung doch nicht in Frage. So blieb ihm sein „Granatapfel“ (offiziell) verwehrt, führte aber im Gegenzug sein gewohntes Leben in Ruhe weiter.

http://www.tate.org.uk/art/artworks/rossetti-proserpine-n05064

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