Eigene Anteile innerhalb der toxischen Beziehung erkennen

Die Erkenntnis, dass man selbst Anteile in sich trägt, um als "Tanzpartner" für toxische Partner überhaupt in Frage zu kommen, entsetzt. Trotzdem ist es unabdingbar, den Blick auf die eigenen Person zu richten, statt ausschließlich nur das Gegenüber zu analysieren. 

 

FYI - besonders wichtig für nachfolgenden Text: Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung. Bin ich schuldig, habe ich andere mit purer Absicht verletzt. Fügen wir anderen Leid zu, das passiert im Laufe des Lebens, waren uns allerdings darüber nicht im Klaren und bedauern diesen Fehler, dann übernehmen wir Verantwortung. 

Die eigene Kindheit:  Ist das Bedürfnis, als eigenständiger Mensch wahrgenommen zu werden nicht ausreichend beachtet und respektiert worden, entsteht ein emotionales Defizit, das es schnell zu überwinden gilt. Wer ständig das Gefühl hatte, "falsch" zu sein, dem seine eigene Wahrnehmung abgesprochen wurde, der sich dazu auserkoren sah, immer tüchtig, brav und gehorsam zu sein, um dann endlich die ersehnte Zuneigung zu spüren (ihr wisst, dass das trotz der Anstrengung häufig nicht der Fall war...), hat bedauerlicherweise Eigenschaften, die u.a. Narzissten sehr zu schätzen wissen. Warum ist das so? 

 

Dem Partner, der sich schon seit Kindheitstagen gerne für andere aufgibt, sich für das Wohlergehen seiner Familie zuständig fühlt, negative Emotionen permanent ausgleicht, können schnell Schuldgefühle vermittelt und Verantwortung zugeschoben werden. "Wenn du das nicht so machst, wie ich es will, dann verlasse ich dich/ werden wir nicht glücklich/ bist du mit dem Problem auf dich alleine gestellt, denn niemand außer ich, weiß dich so gut zu unterstützen/ beschützen." Wiederholungszwang: Die negativen Erlebnisse/ Muster  aus der Kindheit werden mit dem Wunsch, als erwachsene Person ein besseres Ergebnis zu erzielen, übernommen.

Damit werden Verlustängste heraufbeschworen: Betroffene sehen sich außerstande - besonders nach dem Love Bombing/ der Idealisierung - diese plötzlich auftretende, für sie nicht logisch erscheinende "Krise" zu begreifen und verirren sich in ihren illusorischen Träumen: "Ich dachte, wenn ich alles zu seiner/ihrer Zufriedenheit erledige, wenn ich so bin, wie es gewünscht/ erwartet wird, dann bleiben wir ewig glücklich. Jetzt bin ich schon wieder nicht in Ordnung. Ich muss mir noch mehr Mühe geben." Ein diabolisches Tänzchen, denn in der Regel beginnen toxische Beziehungen schon mit dem Verlust eigener Grenzen und charakterlichen Veränderungen. Die Geschichten ähneln sich: "Es ging viel zu schnell, ich hatte keine Zeit nachzudenken," oder "Ich habe meinem Bauchgefühl nicht vertraut, das sich schon zu Beginn gemeldet hatte. Andererseits war anfänglich alles zu schön, um wahr zu sein."  Zorn und Enttäuschung werden dem vermeintlich "erhabenen und starken" Partner nicht gezeigt, man lernt auf Zehenspitzen zu gehen, nur um die gespielte Harmonie beizubehalten. 

 

Das heißt, es geht im Umkehrschluss darum, Grenzen zu setzen, seine Intuition wahrzunehmen, sich selbst zu vertrauen und ein Gefühl zu entwickeln, das besagt: "So wie ich bin, bin ich okay." Die Kindheit muss aufgearbeitet werden. Oft verstecken sich darin noch Trauer, Unsicherheit und Wut, sodass ein Loslassen nicht möglich ist. Die negativen Emotionen erscheinen auf anderer Ebene, aber sie verschwinden nicht. Loslassen bedeutet in Freiheit zu gehen! Ähnliches gilt übrigens auch für Ex-Partner. 

 

Selbstverantwortung übernehmen: Betroffene sehen Kinder, die Bedürfnisse der toxischen Partner, den Haushalt, die Arbeitsstelle gerne als ihr Metier und sind stolz darauf, all diese Dinge so gut zu organisieren und Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit aller zu bewerkstelligen. Halt! Da verbirgt sich schon der erste Fehler, denn zufrieden sind Narzissten, Borderliner & Co. nur selten mit ihrem/ ihrer Liebsten. Das, in den meisten Fällen bereits abhängige Gegenüber, wird sich in Zukunft einfach noch mehr anstrengen, "dank" innerer Antreiber und Kritiker.

 

Grenzen setzen! Wo sind die? Welche Vorstellungen habt ihr von einer gelungenen Beziehung und wieviele davon habt ihr bereits aufgegeben? Ihr gelangt in einen Teufelskreis, wenn ihr eure gewünschten Kriterien nicht wahrt bzw. euch nicht schützt. Die negative Spirale dreht sich kontinuierlich nach unten. Oder: Euer Partner tritt euch (metaphorisch gesprochen) permanent in den Po - diplomatisch formuliert...

 

Manche Kinder tragen auf Grund des Familiensystems, viele Erwachsenenanteile in sich, da sie Verantwortung übernehmen, um Beziehungen und Emotionen auszugleichen. Sie sind es gewohnt, nicht ausreichend beachtet zu werden. Solche Menschen haben nicht gelernt die eigene Person - bewusst - in den Fokus des Lebens zu rücken. In späterer Folge werden aus ihnen Erwachsene mit kindlichen Seelenanteilen, die jede Menge Probleme annehmen und lösen, nur die persönliche Entwicklung bleibt unbeachtet, da diese zu qualvoll scheint. Das ist sie auch. Trotzdem - da hilft nichts! Ihr wollt doch nicht ewig "Narcopathen" nachlaufen, oder? Ihr seid euch selbst zu wenig wert. Augen auf, bitte. 

 

Das ist der Grund, weshalb Love Bombing sehr gut funktioniert: Der Wunsch nach einem Erlöser, jemanden der endlich Entlastung bietet und die Verantwortung für das "verlorene, verlassene Ich" übernimmt, ist enorm groß. Das eigene Leben wird in die Hände anderer Personen gelegt. Jetzt muss man sich nicht mit seiner Vergangenheit, mit emotionalen Wunden, mit verschütteten oder verschatteten Charaktereigenschaften beschäftigen, denn der neue Mann/ die neue Frau wird wissen, was genau zu tun ist.  Der Schmerz (z.B. aus Kindheitstagen) wird durch die Bewunderung des toxischen Partners überdeckt - anfänglich zumindest. Da man diesen glücklichen Honeymoon nicht vergisst, verausgaben sich Betroffene, nehmen den Verlust mancher Persönlichkeitsanteile in Kauf, nur um erneut so "befreit und geliebt" leben zu können. Solange dieser innerlich entlastende Zustand nicht mehr erreicht wird, fühlen sie sich schlecht, minderwertig und vor allem schuldig.  Die Lösung ist so nah wie auch herausfordernd: Bedürfnisse erkennen und aussprechen, verschüttete Gefühle zu lassen, Lebensaufgaben annehmen, vor denen man sich zu verstecken versucht und  sich selbst lieben lernen. Sich Bestätigung und die Abnahme von Schuld- sowie Schamgefühlen von einem Menschen, der eure Freiheit bestimmt nicht im Sinn hat, zu wünschen, ist als würde man einen aktiven Serienkiller auffordern, das Morden doch bitte sein zu lassen und endlich zur Vernunft zu kommen...